Im Beitrag Trink-Wasser, Leitungs-Wasser eine Gefahr für das Aquarium und die Fische setzt sich AquaRichtig unter anderem mit den Grenzwerten chemischer Wasserparameter zur Haltung von Aquarienfischen auseinander und vertritt dabei die Ansicht, dass:
Unsere exotischen Zierfische und auch Wasserpflanzen […] ein Wasser wie dieses auch in den natürlichen Biotopen gegeben ist [brauchen,] um artgerecht gepflegt und gehalten zu werden.
Grundsätzlich handelt es sich also um eine ökologische Fragestellung. Formuliert man AquaRichtigs These entsprechend, so ist man der Ansicht, dass
- die physiologische Reaktionsbreite einer Art annähernd identisch mit ihrer ökologischen Existenz ist.
- die ökologische Existenz mit dem physiologischen Optimum für alle Umweltfaktoren oder insgesamt mit dem autökologischen Optimum gleichzusetzen ist.
Bei AquaRichtig ist man daher offenbar der Ansicht, dass alle (abiotischen) Umweltfaktoren im natürlichen Lebensraum von exotischen Zierfischen
sich in deren physiologischen Optimum befinden.
Vielleicht will man lediglich behaupten, dass dies für bestimmte chemische (u. a. pH-Wert, Salzgehalt) (und physikalischen; u. a. Temperatur, Strömung?) Wasserparameter gilt. So ist für den Roten Neonsalmler Paracheirodon axelrodi ein pH-Wert von etwa 3,4 bis 6,0 im natürlichen Lebensraum belegt. Die elektrische Leitfähigkeit dieser Gewässer liegt durchweg unter 50 µS/cm bei25° C. Gesamt- und Karbonathärte sind regelmäßig nahezu nicht nachweisbar.
Aus physiologischer Sicht muss man sich die Frage stellen, wie in einem solch lebensfeindlichen Wasser überhaupt noch Fische leben können.
AquaRichtig empfiehlt für die Haltung im Aquarium KH 2, GH 6 und pH 6,2]. Diese Empfehlung weicht also ebenfalls bereits vom Wasser wie dieses auch in den natürlichen Biotopen gegeben ist
ab.
Wie es AquaRichtig auch konkret und im Detail meinen sollte, ist dies hochgradig unwahrscheinlich. Denkt man die Behauptung konsequent zuende, könnte eine (Fisch)art nur unter den Bedingungen ihres angestammten Lebensraums existieren. Probleme mit Neobiota dürfte es folglich nicht geben, weil zumindest einzelne Parameter im Ausbreitungsgebiet mit Sicherheit von denen im angestammten Lebensraum abweichen. Eine erfolgreiche Besiedlung wäre somit ausgeschlossen. In geologischen und evolutionären Zeiträumen gedacht, wäre eine Anpassung an sich verändernde Bedingungen im Lebensraum folglich auch nicht möglich.
Konträr dazu resümieren beispielsweise Oliviera et al. (2008), dass der Rote Neon eine gegenüber sauren und alkalischen pH-Werten tolerante Art ist. Wir haben hier also empirische Daten die belegen, dass der Roten Neon – den AquaRichtig als Musterbeispiel des Weich-sauer-Wasser-Fisches präsentiert – zumindest bei einzelnen Umweltparametern (wie dem pH-Wert) – auch deutliche Abweichungen von den (sauren) Bedingungen im natürlichen Lebensraum toleriert. Bei der von AquaRichtig postulierten quasi-Übereinstimmung von physiologischer Toleranz und ökologischer Existenz ist aber zu erwarten, dass der empirisch festgestellte Toleranzbereich sich eng um die Gegenheiten im Habitat herum darstellt.
„In der Genetik der Tiere und Pflanzen ist der Anspruch an die jeweilige Wasserqualität seit Millionen Jahren fest gelegt“.
Denkt man die aquarichtgische These Bkonsequent zuende, bedeutet dies auch, dass die Genetik von Organismen weder durch Zuchtwahl noch sich verändernde Umweltbedingungen und Selektionsdrücke verändert werden kann. Folglich gibt es weder innerartlige Variation der genetischen Disposition noch Veränderungen durch Mutationen oder Verschiebungen in der Häufigkeit einer bestimmten genetischen Disposition (Allelfrequenz) durch Selektionsdrücke. Warum gerade die Genetik, welche die Reaktionfähigkeit auf schwankende Umweltbedingungen (oder den Wasserchemismus) bestimmt, von derartigen evolutionären Prozessen ausgenommen sein soll, bleibt schleierhaft. Zudem ist unverständlich, warum nun gerade aquaristisch relevante Biota von Haus aus nur eine geringe Platizität gegenüber Umweltfaktoren besitzen sollen.
Es mag sein, dass AquaRichtig es vielleicht gar nicht so meint, wie ich es hier interpretiere. Allerdings ist gerade die mangelnde Explizitheit und Konkretheit der aquarichtigschen Ausführungen das Kernproblem. Die Aussagen sind so vage formuliert, dass sie viel Interpreationsvermögen verlagen und letztlich beliebig sind. Die mangelnede Deutlichkeit erlaubt es AquaRichtig, jeder Kritik auszuweichen, indem man behauptet, man habe dies ja gerade eben SO nicht gemeint. WAS man aber gemeint hat, wird auch nicht konkretisiert.
Es mag auch sein, dass einzelne Arten eine sehr geringe Reaktionsbreite für bestimmte Umweltfaktoren besitzen (steno-). Das wird auch tatsächlich sehr wahrscheinlich der Fall sein. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dies für die hunderten gegenständlichen Arten der Fall ist. Es ist auch unwahrscheinlich, dass dies in jedem Fall von den zahlreichen abiotischen und biotischen Umweltfaktoren ausgerechnet und ausschließlich die chemischen Basisparameter wie pH-Wert und Wasserhärte sein sollen.
- Lampert, W. & Sommer, U. (1999): Limnoökologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2. Auflage;
- S. 62 ff.
- Staeck, W. (1996): Zur Ableitung von Grenzwerten chemischer und physikalischer Parameter des Wassers für die artgemäße Haltung von Aquarienfischen. In: DATZ 5/96, S. 295-300
- Ökologische und physiologische Potenz