Wird durch CO2-Düngung die Karbonathärte erhöht?

Im aquaristischen Internet wird immer wieder mal die These geäußert, dass bei CO2-Düngung über die entstehende Kohlensäure die Karbonathärte im Aquariumwasser erhöht würde. Im Artikel Biogene Entkalkung durch CO2 Mangel im Aquarium bei AquaRichtig ist beispielsweise Folgendes zu lesen:

„Kohlenstoffdioxid reagiert in Wasser in einem verschwindend kleinen Anteil von weniger als 1 % zu Kohlensäure (H2CO3)“.

„Wie der Name Kohlensäure schon sagt, ist diese eine Säure die bei CO2 Einleitung in das Aquarium auch für eine Senkung des pH durch H+-Ionen verantwortlich ist“.

„[…]

„Bei einer Überdosierung von CO2 ist somit auch durchaus eine Erhöhung der Karbonathärte möglich“.

[AquaRichtig, Biogene Entkalkung durch CO2 Mangel im Aquarium]

AquaRichtig erwähnt zuvor die Bildung von Kohlensäure durch die Reaktion von Kohlenstoffdioxid mit Wasser. Aus diesem Kontext schließe ich daher, dass AquaRichtig die gebildete Kohlensäure als Ursache des postulierten Karbonathärte-Anstiegs sieht.

notwendige Rahmenbedingungen für Karbonat durch CO2-Düngung

Wie AquaRichtig kurz davor korrekterweise anmerkt, reagiert Kohlendioxid mit Wasser nur zu einem verschwindend kleinen Anteil von weniger als 1 % zu Kohlensäure (H2CO3). Es sind genauer etwa 0,2%[1a]. Die Literaturangaben schwanken allerdings je nach Quelle. Der Großteil des CO2 ist in jedem Fall rein physikalisch im Wasser gelöst.

Kohlensäure liegt bei im Süsswasseraquarium üblichen pH-Wertbereich zwischen pH 6,5 und 8,5 großteils in H+ (Wasserstoff) und HCO3 (Hydrogencarbonat) Ionen dissoziiert vor. Mit sinkendem pH-Wert steigt der Anteil an H2CO3. Steigt der pH-Wert, nimmt der Anteil an H+ + HCO3 zu. Bei pH 6 liegen etwa 97 % H2CO3 und 3 % H+ + HCO3 vor, bei pH 9 etwa 98 % H+ + HCO3 und 1 % H2CO3.

Die erwähnte CO2-Überdosierung muss daher in erheblichem Maße erfolgen, um eine merkliche (d. h. messbare) Menge Kohlensäure beziehungsweise Hydrogencarbonat im Wasser zu erzeugen. Für eine messbare Erhöhung der KH sind also erhebliche Mengen an gelöstem CO2 im Wasser notwendig. Als für aquaristisch übliche Methoden messbaren Anstieg der KH will ich hier 1° dKH festlegen. Ich gehe hier der Einfachheit halber von einem rein linearen Zusammenhang von CO2 und Kohlensäure Konzentration aus.

Wie viel CO2 müsste im Wasser gelöst sein, um die KH um 1 ° dKH anzuheben?

Konkret bedeutet das Folgendes: CO2 hat eine molare Masse von gut 44 g/mol. Pro Millimol oder 44 mg gelöstem CO2 bilden sich etwa 0,00144 mmol Kohlensäure respektive – hypothetisch – Hydrogencarbonat. 0,36 mmol/l Hydrogencarbonat entsprechen 1° dKH. Hydrogencarbonat hat eine molare Masse von gut 61 mg/mmol. Um 0,36 mmol Kohlensäure respektive Hydrogencarbonat oder einen Anstieg der KH um 1 °d durch CO2 zu erhalten, müssen daher etwa 11 Gramm CO2 pro Liter im Wasser gelöst sein.

  • m CO2: 44 g pro Mol
  • 44 mg CO2 = 1 mmol
  • 0,2% vom CO2 reagieren mit Wasser zu H2CO3
  • 1 mmol H2CO3 entspricht 1 mmol HCO3
  • 0,2% von 44 mg sind 0,088 mg
  • Pro 44 mg/l gelöstem CO2 werden 0,088 mg H2CO3 bzw. HCO3 gebildet
  • m HCO3 61 g pro Mol
  • 0,36 mmol HCO3 entsprechen 1° dKH
  • 61 mg HCO3 = 1 mmol
  • 0,36 × 61 mg = 22 mg HCO3
  • 0,088 mg H2CO3 = 0,00144 mmol
  • ↠ 0,00144 mmol H2CO3 bzw. HCO3 per 44 mg/l gelöstem CO2
  • 0,36 mmol HCO3 bei 250 × 44 mg/l CO2
  • 250 × 44 mg/l = 11000 mg/l CO2

Kann die dazu nötige Menge CO2 im Wasser gelöst werden?

Nach dem Henry-Dalton-Gesetz verhält sich die Löslichkeit eines Gases in Wasser proportional zum Partialdruck des Gases – seinem Anteil am Gasgemisch – in der Atmosphäre darüber. Bei einer Atmosphäre, die aus nur einem Gas besteht, ist der Partialdruck des Gases folglich 1 oder 100%. Weiterhin hängt die Löslichkeit des Gases vom Gesamtdruck des Systems ab. Der Normaldruck der Atmosphäre beträgt gut 1 bar. Verdoppelt sich der atmosphärische Druck auf 2 bar, verdoppelt sich auch die Konzentration des im Wasser gelösten Gases.

CO2 löst sich bei atmosphärischem Druck von 1bar und einer Temperatur von 20°C zu 1700 mg/l oder 1,7g/l in Wasser. Um die notwendigen 11000 mg/l zu lösen, muss der Druck daher bei ansonsten gleichen Bedingungen etwa das Sechseinhalbfache des Normaldrucks, also etwa 6,5 bar, betragen.

Bei 6,5 bar Druck und einer Atmosphäre, die allein aus CO2 besteht, sind die erforderlichen 11000 mg/l CO2 gelöst. Gleichsam befinden sich 0, 36 mmol/l Kohlensäure im Wasser, die einen messbaren Anstieg der KH um 1° dKH nach sich ziehen sollen.

Folgerungen aus den nötigen Rahmenbedingungen

Daraus folgt, dass der propagierte Anstieg der KH durch gebildete Kohlensäure – sofern er denn tatsächlich existiert – entweder unter aquaristischen Bedingungen mit bis höchstens dreistelligen mg/l CO2 so gering ausgeprägt ist, dass er weder messtechnisch noch praktisch ins Gewicht fällt. Oder aber, dass ein erheblicher technischer Aufwand erforderlich ist, damit der KH Anstieg auch messtechnisch zum Tragen kommt. Der postulierte Effekt ist daher – sofern er existiert – in der Praxis ohne Bedeutung.

Kohlensäure erhöht weder die Karbonathärte noch das Säurebindevermögen

Die Karbonathärte, die Säurekapazität oder das Säurebindevermögen bis pH 4,3 (SBV) wird aber auch dann nicht erhöht, wenn hinreichend Kohlensäure im Wasser vorliegt, weil bei der entstanden Kohlensäure jedem Hydrogencarbonat-Anion bereits ein Proton gegenüber steht. Kohlensäure besitzt daher folgerichtig keine Säurepufferkapazität oder Säurebindevermögen.

Auswirkung hoher CO2 Konzentrationen auf Messergebnisse

Tatsächlich führen hohe CO2-Konzentrationen sogar zu einem Minusfehler bei der Titration zur Bestimmung des SBV mit Salzsäure. Das Messergebnis fällt also niedriger aus, als tatsächlich an Puffervermögen vorliegt. Um bei CO2 reichen Wässern diesen Minusfehler zu vermeiden, ist vor der Titration CO2 entsprechend auszutreiben, beispielsweise durch Airstripping.

Eine Erhöhung der KH durch CO2-Düngung kann allerdings auf indirektem Wege über Lösung von Kalk durch die entstehende Kohlensäure geschehen.

Folgerungen für die aquaristische Praxis

Für das von AquaRichtig beschrieben Szenario einer Erhöhung der Karbonathärte oder genauer des SBV durch CO2-Zufuhr gebildete Kohlensäure sind die hypothetischen Voraussetzungen im Aquarium nur mit erheblichem technischen Aufwand herzustellen. Zudem ist die These, CO2 führe durch gebildete Kohlensäure zu einer Erhöhung der Karbonathärte, schon ansich sachlich nicht begründbar, da die beim Lösen von CO2 im Wasser gebildete Kohlensäure das SBV nicht erhöht.

Im Wasser gelöstes CO2 vermag die Karbonathärte respektive des Säurebindevermögen bis pH 4, 3 grundsätzlich nicht zu erhöhen. Die entstehende Kohlensäure hat keine Säurebindevermögen. Tatsächlich führen hohe CO2-Konzentrationen zu einem nach unten verfälschten Messergebnis bei der KH-Titration. Naturgemäß steigt die Basekapazität proportional zur Konzentration an freier Kohlensäure (CO2 und H2CO3).

Referenzen, weiterführende Literatur und externe Links

  1. Wiberg, N. (1995): Lehrbuch der anorganischen Chemie. 101. Aufl., deGruyter, Berlin, S.859-864.
    1. S.860

CO2 entsteht bei AquaRichtig aus dem Nichts

Bei AquaRichtig entsteht CO2 offenbar aus dem Nichts, denn in Vollentsalzer oder Osmose-Anlage – Pro und Contra heißt es:

„Ein weiterer Vorteil der Vollentsalzung ist, das [sic!] die eingestellten Wasserwerte nahezu konstant bleiben und man bei einer Karbonat-Härte von 2, mit einem pH von 6,2 auch ausreichend freies CO2 im Wasser hat“.

[Vollentsalzer oder Osmose-Anlage – Pro und Contra]

An anderer Stelle schlägt man bei AquaRichtig in die selbe Kerbe:

„Richtiges Wasser für Weichwasserfische, wie Diskus, Neons, Corydoras und viele andere hat einen idealen pH Wert von 6,2 – 6,3 und KH von 2 – 3 und diese Werte können Sie nur mit Vollentsalzer Kati und Ani, durch das stark saure Kationenharz, ohne irgendwelche Hilfsmittelchen wie CO2 Zugabe oder Torffilterung, etc. herstellen!“

[Vollentsalzer Kati und Ani 22500 Härteliter]

Das Problem ist allerdings, dass nur umgekehrt ein Schuh draus wird. Bei einer Karbonathärte von 2°d KH liegt nur dann ein pH-Wert von 6,2 im Wasser vor, wenn gleichzeitig auch 35 mg/l CO2 im Wasser gelöst sind.

Nun kann es sein, dass man das bei AquaRichtig wörtlich meint. Mit der genannten Methode lässt sich ein Wasser herstellen, das kurzfristig die genannten chemischen Parameter aufweist. Konkret behält solch ein Wasser genau diese Werte, solange die dazu erforderlichen Bedingungen herrschen, sprich die notwendige CO2-Konzentration im Wasser vorliegt. Da die CO2-Konzentration im Wasser dem Partialdruckgefälle folgt, wird die CO2-Konzentration ohne künstliche Zufuhr oder biogene Quellen durch Atmungsprozesse sukzessive dem Gleichgewicht mit der Luft entgegenstreben, also ohne letztlich gegen Null tendieren. In jedem Fall wird sich aber auch im Aquarium mit CO2-Produktion aus Atmungsprozessen eine erheblich niedrigere Konzentration einfinden.

Allerdings sollen laut AquaRichtig diese eingestellten Wasserwerte nahezu konstant bleiben, obwohl man offenkundig weiß, daß das CO2 [sich] wieder verflüchtigt . Die bei einer Karbonathärte von 2°d KH für einen pH-Wert von 6,2 erforderlichen gut 35 mg/l CO2 liegen aber deutlich oberhalb des Gleichgewichts-Zustands mit der Luft von etwa 0,5 mg/l. Selbst wenn durch biologische Prozesse im Aquarium auch CO2 entsteht, so ist die dadurch resultierende Konzentration erheblich niedriger als die notwendigen 35 mg/l. Da es sich beim Kohlensäure-Hydrogencarbonat-Puffer im Aquarienwasser um ein offenes Puffersystem handelt, wird die CO2-Konzentration zwangsweise sinken. Sei es allein durch Ausgasen oder zusätzlich durch biologischen Verbrauch wie durch Fotosynthese. Der pH-Wert wird sich infolgedessen zwangsläufig verändern, sprich steigen, sofern nicht CO2 künstlich zugeführt wird.

Da dies ohne irgendwelche Hilfsmittelchen wie CO2 Zugabe regelmäßig nicht der Fall ist – die CO2-Konzentration beträgt dann nur um 5 mg/l oder weniger – muss bei AquaRichtig wohl regelmäßig CO2 aus dem Nichts entstehen. AquaRichtig wirft zudem ein:

„In der Regel verbrauchen die Pflanzen mehr CO2 als von Fischen,Bakterien und Pflanzen selbst durch Zellatmung abgegeben wird“.

[Biogene Entkalkung durch CO2 Mangel im Aquarium]

Ein weiterer Fall also, wo man bei AquaRichtig nicht heute A und morgen B sagt, sondern heute sowohl A als auch B.

Nachtrag vom 17.07.2019

AquaRichtig tut wieder so, als hätte ich eine bloße Unterstellung geäußert, die weder vom Anlass, noch vom Sachverhalt her hinreichende Anküpfungspunkte im Tatsächlichen hat. Mit den als anlässliche Erörterungsgrundlage herangezogenen und mit wörtlichen Zitaten belegten Äußerungen von AquaRichtig ist aber eindeutig klar, dass gerade ersteres nicht der Fall ist. Aus meinen Ausführungen selbst geht hervor, dass auch letzteres nicht der Fall ist.

Weiterhin sollte aus dem Gesamtzusammenhang dieses Beitrags auch eindeutig hervorgehen, dass ich nicht auf die bloße Falschheit einzelner Behauptungen abstelle, sondern gerade auf die widersprüchliche Darstellung des zugrundeliegende Sachverhalts duch die Gesamtheit der Aussagen über ihn bei AquaRichtig. Gerade weil man – wie auch verschiedenen Äußerungen hervorgeht – bei AquaRichtig offenbar das Zusammenspiel von Kohlendioxid-, Hydrogencarbonat-Konzentration und pH-Wert zumindest grundsätzlich begriffen hat, sind die oben kritisierten Äußerungen nicht nachvollziehbar.

Laut AquaRichtig gibt es also Hunderte von Kunden […] bei denen CO2 konstant auf wundersame Weise entsteht, da dort angeblich genau die Wasserwerte wie beschrieben […] – ohne Zugabe von CO2, wohlgemerkt – erreicht werden und bis auf geringfügige Schwankungen konstant bleiben. Wundersam, weil, wie AquaRichtig selbst bemerkt, die Aquarienpflanzen regulär mehr CO2 verbrauchen, als durch die Atmungsprozesse im Aquarium abgegeben wird.

Hätte man statt Emails en masse belastbare Messwerte en massse, sähe die Sache ja anders aus. Wobei sich dann die Frage stellt, wieso sich erst durch die Vollentsalzung die wundersame CO2-Produktion einstellen soll. Zwar ist biogene CO2-Produktion durch Atmungsprozesse eine grundsätzlich denkbare Erklärung. Dass dabei aber derart hohe Konzentrationen erreicht werden, ist – vorsichtig ausgedrückt – ungewöhnlich. Warum sich gerade die Aquarien von AquaRichtig-Kunden so ungewöhnlich verhalten sollen, bleibt unbegründet.

Nachtrag vom 10.04.2020

Bei AquaRichtig meint man offenbar [], es ginge hier um die Tatsache dass Pflanzen und Mikroorganismen CO2 abgeben. Die Fische tun dies zudem wohl nicht. Aus dieser Tatsache soll sich wohl erklären, dass sich bei einer Karbonathärte von 2 und einem pH-Wert von 6,2 automatisch eine CO2-Konzentration von 30 – 35 mg/l ergibt. Die Trivialität, dass im Aquarium CO2 durch aerobe Atmungsprozesse erzeugt wird, steht aber gerade nicht zur Debatte. Zur Debatte steht allerdings, dass die biologische CO2-Produktion ausreicht, um die streitgegenständliche hohe CO2-Konzentration zu erzielen. Zumal man offenbar immer noch nicht verstanden hatt, dass eben diese CO2-Konzentration notwendige Bedingung dafür ist, dass bei einer Karbonathärte von 2°d KH überhaupt auch ein pH-Wert von 6,2 vorliegt.